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Geisterspiele sind keine Lösung! 6.245 vom 16.04.2020, 19:29 Uhr


Deutsche Fanszenen fordern Quarantäne für den Fußball

vom 16.04.2020, 19:29 Uhr

Nachdem die Politik bekannt gegeben hat, dass Großveranstaltungen mindestens bis 31. August untersagt sind, haben sich die deutschen Fanszenen in einem Statement zu Wort gemeldet.

Unter dem Motto "Quarantäne für den Fußball - Geisterspiele sind keine Lösung" fordern sie, dass es für den Profi-Fußball kein "Lex Bundesliga" geben soll und die Saison auch nicht mit Geisterspielen fortgesetzt werden soll. Demnach sei eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs unter dem Deckmantel der gesellschaftlichen Verantwortung (Stichwort zur Normalität zurückkehren) nicht vertretbar. 

Quarantäne für den Fußball - Nein zu Geisterspielen| Bildquelle www.cc97.de

Hinter den Kulissen plant die DFL - sofern die Politik mitspielt - wie der Spielbetrieb so schnell wie möglich wieder aufgenommen werden kann. Die Vereine sollen bis zur nächsten Mitgliederversammlung am 23. April abschätzen, wie viele Personen für die Austragung eines Geisterspiels inkl. TV-Übertragung (mindestestens) benötigt werden.

Laut aktuellen Schätzungen müssen ca. 250-300 Personen im Stadion anwesend sein, um ein Spiel unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen zu können. Am Donnerstag soll dann auch beschlossen werden, ob und wie die Saison fortgesetzt werden kann. 

Die Fanszenen kritisieren, dass der Profifußball pro Spieltag etwa 20.000 Corona-Tests verschlingen würde. Angesichts des aktuellen Mangels an Test-Kapazitäten und der kolporierten gesellschaftlichen Verantwortung wirkt dieser Plan jedoch äußerst fragwürdig.

Geisterjäger Dynamo: Nein zu Geisterspielen | Bildquelle www.ultras-dynamo.de

Die Stellungsnahme der deutschen Fanszenen im Wortlaut: 

"Quarantäne für den Fußball – Geisterspiele sind keine Lösung!

Die Frage, wann und in welcher Form wieder Profifußball gespielt werden darf, wurde in den vergangenen Tagen und Wochen viel diskutiert. In der nach wie vor teils unübersichtlichen gesellschaftlichen Situation wurden von verschiedenen Akteuren eine Vielzahl ethischer, epidemiologischer und anderer Argumente ins Feld geführt. Im Folgenden möchten wir uns, als bundesweiter Zusammenschluss der Fanszenen und mit Blick auf die DFL-Vollversammlung, zu dem Thema äußern:

Die Wiederaufnahme des Fußballs, auch in Form von Geisterspielen, ist in der aktuellen Situation nicht vertretbar – schon gar nicht unter dem Deckmantel der gesellschaftlichen Verantwortung. Eine baldige Fortsetzung der Saison wäre blanker Hohn gegenüber dem Rest der Gesellschaft und insbesondere all denjenigen, die sich in der Corona-Krise wirklich gesellschaftsdienlich engagieren. Der Profifußball ist längst krank genug und gehört weiterhin in Quarantäne.

Wir vertreten die klare Position, dass es keine Lex Bundesliga geben darf. Fußball hat in Deutschland eine herausgehobene Bedeutung, systemrelevant ist er jedoch ganz sicher nicht. Beschränkungen, die für vergleichbare Bereiche der Sport- und Unterhaltungsindustrie gelten, müssen auch im Fußball Anwendung finden. In einer Zeit, in der wir alle sehr massive Einschränkungen unserer Grundrechte im Sinne des Gemeinwohls hinnehmen, ist an einen Spielbetrieb der Bundesligen nicht zu denken. Wenn seit Wochen über einen Mangel an Kapazitäten bei CoVid-19-Tests berichtet wird, ist die Idee, Fußballspieler in einer extrem hohen Taktung auf das Virus zu untersuchen, schlicht absurd. Ganz zu schweigen von der Praxis eines Fußballspiels mit Zweikämpfen, eines normalen Trainingsbetriebes in Zeiten von Versammlungsverboten und eines gemeinsamen Verfolgens potenzieller Geisterspiele durch Fans.

Die Rede von gesellschaftlicher Verantwortung und Pläne für exklusive Testkontingente (über 20.000 Stück) für den Profifußball passen nicht zusammen. Wir verstehen, dass Vereinsfunktionäre durchaus rechtliche Verpflichtungen haben, im Sinne des finanziellen Wohls ihres Vereins zu handeln. In einer Situation jedoch, in der die gesamte Gesellschaft und Wirtschaft vor enormen Herausforderungen stehen, ist es für uns nicht nachvollziehbar, dass offenbar sämtliche Bedenken hintenangestellt werden, wenn es darum geht, den Spielbetrieb möglichst lange aufrechtzuerhalten, bzw. erneut zu starten.

Ganz offensichtlich hat der Profifußball viel tieferliegende Probleme. Ein System, in das in den letzten Jahren Geldsummen jenseits der Vorstellungskraft vieler Menschen geflossen sind, steht innerhalb eines Monats vor dem Kollaps. Der Erhalt der Strukturen ist vollkommen vom Fluss der Fernsehgelder abhängig, die Vereine existieren nur noch in totaler Abhängigkeit von den Rechteinhabern.

Der Fußball wird leben - euer Business ist krank! | Bildquelle www.cc97.de

Die Frage, weshalb es trotz aller Millionen keinerlei Nachhaltigkeit im Profifußball zu geben scheint, wie die Strukturen und Vereine in Zukunft robuster und krisensicherer gemacht werden können, wurde zumindest öffentlich noch von keinem Funktionär gestellt. Das einzig kommunizierte Ziel ist ein möglichst schnelles ,,Weiter so!‘‘, das jedoch lediglich einer überschaubaren Zahl an Beteiligten weiterhin überragende Einkünfte garantiert. Das Gerede von zigtausenden Jobs halten wir schlicht in den meisten Fällen für einen Vorwand, weiterhin exorbitante Millioneneinkünfte für wenige extreme Profiteure zu sichern. Dies zeigt sich auch in der absoluten Untätigkeit des DFB, im Hinblick auf den Fußball unterhalb der 2. Bundesliga. Dass Geisterspiele hier viel stärkere Folgen hätten, als in den Ligen der DFL, wird ausgeblendet. Hauptsache das „Premiumprodukt“ kann weiterexistieren. Hier wird der DFB seiner Rolle nicht nur nicht gerecht, er zeigt auch wiederholt, wessen Interessen er vertritt.

Seit Jahren fordern Fans Reformen für eine gerechtere Verteilung der TV-Einnahmen und kritisieren die mangelnde Solidarität zwischen großen und kleinen Vereinen. Wir weisen auf Finanzexzesse, mangelnde Rücklagenbildung und die teils erpresserische Rolle von Spielerberatern hin. Die Gefahr der Abhängigkeit von einzelnen großen Geldgebern haben wir anhand von Beispielen wie 1860 München, Carl Zeiss Jena und anderen immer wieder aufgezeigt.

Spätestens jetzt ist es aller höchste Zeit, dass sich Fußballfunktionäre ernsthaft mit diesen Punkten auseinandersetzen. Die jetzige Herausforderung ist auch eine Chance: Die Verbände sollten diese Krise als solche begreifen und die Strukturen des modernen Fußballs grundlegend verändern. Es ist höchste Zeit!

In diesem Zusammenhang fordern wir:

- Der aktuelle Plan der DFL, den Spielbetrieb im Mai in Form von Geisterspielen wieder aufzunehmen, darf nicht umgesetzt werden. Wir maßen uns nicht an, zu entscheiden, ab wann der Ball wieder rollen darf. In einer Situation, in der sich der Fußball auf diese Weise so dermaßen vom Rest der Gesellschaft entkoppeln würde, darf es jedoch nicht passieren.
- Eine sachliche Auseinandersetzung mit der aktuellen Lage muss forciert und eine Abkehr vom blinden Retten der TV-Gelder vollzogen werden. Auch ein möglicher Abbruch der Saison darf kein Tabu sein, wenn die gesellschaftlichen Umstände es nicht anders zulassen. In diesem Fall sollten nicht nur Horrorszenarien in Form von drohenden Insolvenzen skizziert werden, sondern Lösungsmöglichkeiten in Form von Förderdarlehen, erweiterten Insolvenzfristen und anderen Kriseninstrumenten, denen sich auch die restliche Wirtschaft stellt, diskutiert werden.
- Eine kommende Lösung muss maximal solidarisch sein. Es darf unter den Vereinen keine Krisengewinner- und verlierer geben. Die Schere zwischen ,,groß‘‘ und ,,klein‘‘ darf nicht noch weiter auseinandergehen. Ausdrücklich schließen wir damit auch die Vereine der dritten Liga und der Regionalligen mit ein, für die Geisterspiele ohnehin keine Option sind.
- Die Diskussion über grundlegende Reformen, um den Profifußball nachhaltiger und wirtschaftlich krisensicherer zu gestalten, muss jetzt beginnen. Sie darf nicht nur von Fans und Journalisten geführt werden, sondern ist die zentrale Aufgabe der Verantwortlichen der Clubs und Verbände. Strukturen und Vereine müssen auf einen finanziell und ideell sicheren Boden zurückgeholt werden. Dabei muss die 50+1-Regel weiterhin unberührt bleiben.

Die Phase einer von der restlichen Gesellschaft komplett entkoppelten Fußballwelt muss ein Ende haben!

Fanszenen Deutschlands im April 2020"

Bildquelle Titelbild: nordkurvenfotos.de

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